Enzephalitiden durch Bornaviren (BoDV-1 und VSBV-1)
2018 wurden erstmalig zweifelsfrei menschliche Infektionen mit dem klassischen Bornavirus (Borna disease virus 1; BoDV-1) beschrieben. Es handelte sich dabei um schwerste Enzephalitiden (Gehirnentzündungen). Einige wenige Fälle wurden durch Transplantationen erworben, bei den weiteren, sporadischen Infektionen ist der genaue Ansteckungsweg unklar. Mittlerweile sind mehr als 40 solcher menschlicher Einzelinfektionen bekannt, weit überwiegend mit tödlichem Ausgang. Seit 2020 besteht eine labordiagnostische Meldepflicht für den direkten Erregernachweis beim Menschen; die meisten Fälle sind bisher aus Bayern gemeldet.
BoDV-1 kommt natürlicherweise bei Feldspitzmäusen (Crocidura leucodon) vor, mit Igeln und Maulwürfen verwandte Kleinsäuger. Endemiegebiete sind Bayern, Baden-Württemberg (Nordosten), Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen (Westen) und Thüringen, aber auch Gebiete Österreichs, Liechtensteins und der Schweiz. Das Virus ist bei Pferden und Schafen in diesen Gegenden als Auslöser der Borna’schen Krankheit lange bekannt. Weitere Informationen zu BoDV-1 finden Sie hier im Merkblatt.
2015 wurde nach dem Auftreten von tödlich verlaufenden Enzephalitiden bei drei privaten Haltern von exotischen Bunthörnchen (Sciurus variegatoides) in Sachsen‐Anhalt nach umfangreichen molekularbiologischen Untersuchungen ein neuartiges Bornavirus in Deutschland entdeckt (Bunthörnchen-Bornavirus, Variegated Squirrel Bornavirus 1; VSBV-1). Zwei weitere, wahrscheinliche Fälle wurden retrospektiv bei verstorbenen Züchtern identifiziert. Desweiteren kam es zu Todesfällen durch eine VSBV-1-Enzephalitis bei zwei Tierpflegern, die beruflich Kontakt zu exotischen Hörnchen hatten. Möglicherweise stellen Kratzer und Bisse der Tiere den Ansteckungsweg dar, ggfs auch über Schleimhautkontakte zu ausgeschiedenem Virus.
VSBV-1 wurde neben Bunthörnchen auch bei anderen exotischen Baumhörnchen wie den Rotschwanzhörnchen (Sciurus granatensis), Finlayson-Hörnchen (Callosciurus finlaysonii), chinesischen Baumstreifenhörnchen (Tamiops swinhoei) und vor allem den Prevost-Schönhörnchen (Callosciurus prevostii) in verschiedenen Privathaltungen und Zoos gefunden. Das Virus konnte bisher nicht in heimischen Eichhörnchen nachgewiesen werden. Der genaue geographische Ursprung von VSBV-1 ist bis heute unklar.
Labordiagnostik
Diagnostische Methoden stehen am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg für akute Enzephalitiden durch BoDV-1 und VSBV-1 zur Verfügung (Untersuchungsauftrag virale Erkrankung). Insbesondere Fälle mit schwerer Enzephalitis aus den bekannten Endemiegebieten oder Aufenthalt in den Endemiegebieten bzw. nach Kontakt zu exotischen Baumhörnchen sollten folgendrmaßen untersucht werden:
- real time-PCRs aus Liquor und Gehirngewebe
- Antikörpernachweis aus Serum und Liquor (IIFT, Immunoblot, ELISA).
Der Antikörpernachweis im Serum ist derzeit die sensitivste Nachweismethode; Borna-spezifische Antikörper treten im Liquor erst später auf und sind niedrigtitriger. Der Virus-RNA-Nachweis im Liquor gelingt meist nur in früheren Krankheitsphasen, in Biopsien aus entzündeten Arealen jedoch regelhaft. Im positiven Falle wird eine Virus-Gesamtgenomsequenzierung mittels NGS durchgeführt, um das Isolat einem geographischen Cluster zuzuordnen.
- in situ-Hybridisierungen und Immunhistologie können aus Gehirngewebe durchgeführt werden.
Arztpraxen, Kliniken und Institute können auch Serum, Liquor oder Hirngewebe von Enzephalitis-Fällen mit unklar gebliebener Diagnose zur retrospektiven Untersuchung einsenden. Insbesondere besteht auch die Möglichkeit, in Paraffin eingebettete formalinfixierte Archivproben zu untersuchen.
Des Weiteren können Patienten mit unklaren neurologischen Krankheitsbildern, Haushaltsangehörige von BoDV-1- und VSBV-1-Patienten, Halter von exotischen Baumhörnchen und deren Haushaltsangehörige und Personal aus zoologischen Gärten mit Haltung exotischer Hörnchen serologisch getestet werden.
Weitere Informationen zum diagnostischen Vorgehen (Tests, Ablauf, Falldefinition; auf Englisch) finden Sie hier in dieser Publikation und auch in dieser Publikation. Weiteres zum Hintergrund und zu unserer Forschung finden Sie auf der Seite der Forschungsgruppe Zoonosen.
Klinik, Bildgebung, Liquor- und Gewebebefunde
Nach einer vermutlichen Inkubationszeit von 3-4 Monaten treten bei beiden Bornavirus-Enzephalitisformen fieberhafte Allgemeinsymptome mit Kopfschmerzen und Wesensveränderung sowie kognitiver Verlangsamung auf. Es folgen häufig Myoklonien, Bulbusdeviationen, Ataxie, epileptische Anfälle, Tetraparese und Koma als Ausdruck einer schweren Panenzephalitis. Eine meningeale Beteiligung kann vorliegen, ebenso eine des peripheren Nervensystems, beispielsweise in Form einer Guillain-Barré-ähnlichen Symptomatik. In der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle führt die Erkrankung innerhalb von etwa einem bis vier Monaten nach Auftreten der ersten Symptome zum Tod; VSBV-1-Enzephalitiden scheinen hierbei einen langsameren Verlauf zu zeigen als Infektionen durch BoDV-1.
Auffälligkeiten im MRT können sich erst spät zeigen, häufig erst nach ca. 2 Wochen. In vielen Fällen ist eine Affektion der Basalganglien (insb. Nc. caudatus) und des limbischen Systems vorhanden, mit der Differenzialdiagnose einer seronegativen Autoimmun-Enzephalitis. Im Liquor zeigt sich eine geringe bis mittelgradige lymphozytäre Pleozytose, bei deutlich erhöhten Protein- und Laktatkonzentrationen. Diese Konstellation könnte im Einzelfall jedoch auch anders ausfallen. Histopathologisch ist ein ausgeprägtes perivaskuläres CD20+ und CD3+ lymphozytäres Infiltrat („lymphocyte cuffing“) vorhanden, welches wie eine Vaskulitis imponieren kann. Es liegen zusätzlich deutliche Mikroglia- und Astrozytenaktivierungen vor. Bornaviren sind nicht zytolytisch, die schweren Gewebedestruktionen sind immunpathogenetisch bedingt.
Übertragung, Prävention und Therapie
Mit BoDV-1 infizierte Feldspitzmäuse und mit VSBV-1 infizierte exotische Hörnchen erscheinen gesund und zeigen keine auffälligen Organveränderungen. Sie scheiden jedoch die Viren mit Speichel und Urin aus. Kratz- oder Bissverletzungen sowie der mukosale Kontakt mit virushaltigen Ausscheidungen der Tiere sind daher mögliche Infektionswege.
Der direkte Kontakt zu Spitzmäusen und exotischen Hörnchen sowie ihren Kadavern und Ausscheidungen sollte dringend vermieden werden. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch findet nach heutigem Wissen nicht statt. Weitere Informationen zu BoDV-1 finden Sie hier im Merkblatt.
Eine etablierte Therapie existiert nicht. Ribavirin und insbesondere Favipiravir zeigen in vitro hemmende Eigenschaften gegen Bornaviren; ein Einsatz bei humanen Infektionen ist also denkbar. Ob eine zusätzliche immunsuppressive Therapie, die möglicherweise zu einem längeren Überleben führen kann, sinnvoll ist, kann in Anbetracht der immunpathogenetischen Veränderungen bei der Bornavirus-Enzephalitis diskutiert werden.
Kontakt
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Untersuchungsaufträge
- Anforderungsschein virale Erkrankungen ( PDF 216 KB )