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Impfquoten steigern: Strategien jenseits der Impfplicht

Impfpflichten stoßen weltweit auf heftige Diskussionen, sind aber nur eine von vielen Möglichkeiten, um Impfquoten zu steigern. Ein internationales Forschungsteam um Prof. Cornelia Betsch von Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM) und Universität Erfurt zeigt in einer Übersichtsstudie in Nature Reviews Psychology, welche Maßnahmen Impfpflichten ergänzen oder ersetzen könnten. Die Autorinnen und Autoren bewerten sowohl die Wirksamkeit als auch die ethischen und psychologischen Auswirkungen von Impfpflichten und präsentieren eine Reihe von Alternativen, die die Impfbereitschaft fördern und die Autonomie der Bevölkerung respektieren können.

Foto einer jungen afrikanischen Krankenschwester mit Gesichtsmaske, die einem jungen Schwarzen draußen eine Spritze gibt.
©Stock | AMO

Impfpflichten werden häufig als eine einfache Lösung zur Steigerung von Impfquoten gesehen, doch sie umgehen oft die kognitiven, emotionalen und sozialen Faktoren, die diese Zurückhaltung ausmachen. Statt ausschließlich auf Zwang zu setzen, so die Forschenden, sollte auf Maßnahmen zurückgegriffen werden, die diese Barrieren gezielt ansprechen und den Menschen Wahlfreiheit lassen. Die Studie analysiert die Vor- und Nachteile von Impfpflichten und stellt eine „Werkzeugkiste“ alternativer Maßnahmen vor. Diese umfassen Informationskampagnen, die kognitive und emotionale Barrieren abbauen, soziale Mechanismen, die Impfungen als Gemeinschaftsleistung fördern, und finanzielle Anreize, die individuelle Entscheidungen zugunsten der Impfung beeinflussen können.

Die Ergebnisse des Review Artikels basieren auf einer umfassenden Analyse der aktuellen Forschungsliteratur zu Impfpflichten und alternativen Ansätzen, um die Impfbereitschaft zu fördern. Das Autorenteam hat Daten aus internationalen Studien zusammengetragen, die den Erfolg und die Auswirkungen unterschiedlicher Maßnahmen in verschiedenen kulturellen und gesellschaftlichen Kontexten beleuchten. Dabei berücksichtigte es sowohl psychologische Experimente und Umfragen als auch systematische Übersichtsarbeiten und Metaanalysen. Zudem zogen die Forschenden psychologische Theorien und Modelle heran, wie die Reaktanztheorie und das 5C-Modell, um die kognitiven und emotionalen Mechanismen hinter der Impfzurückhaltung besser zu verstehen. Durch diese Kombination von empirischen Daten und theoretischen Ansätzen bietet die Studie fundierte Empfehlungen, die auf solider wissenschaftlicher Evidenz beruhen und in unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen wirksam sein könnten.

Grafik: Eingriffe werden nach ihrer Einschränkung der individuellen Autonomie kategorisiert, basierend auf der Interventionsleiter für Impfstrategien. Die Bereitstellung von Informationen ist am wenigsten restriktiv (hellgrau), während eine Änderung der Art und Weise, wie Informationen präsentiert werden, die Restriktivität leicht erhöht (grau). Umgebungshinweise (hellgelb) und Anreize (gelb) reichen von mittlerer bis hoher Restriktivität und können die autonome Entscheidungsfreiheit einschränken. Mandate sind am restriktivsten, von kontextspezifischen Anforderungen (rosa) bis hin zu Sanktionen, die die Wahlfreiheit ausschließen (rot).
Eingriffe werden nach ihrer Einschränkung der individuellen Autonomie kategorisiert, basierend auf der Interventionsleiter für Impfstrategien. Die Bereitstellung von Informationen ist am wenigsten restriktiv (hellgrau), während eine Änderung der Art und Weise, wie Informationen präsentiert werden, die Restriktivität leicht erhöht (grau). Umgebungshinweise (hellgelb) und Anreize (gelb) reichen von mittlerer bis hoher Restriktivität und können die autonome Entscheidungsfreiheit einschränken. Impfpflichten sind am restriktivsten, von kontextspezifischen Anforderungen (rosa) bis hin zu Sanktionen, die die Wahlfreiheit ausschließen (rot).   ©Nature Review Psychology

 

Zentraler Bestandteil der vorgeschlagenen Alternativen sind Maßnahmen, die gezielt auf die psychologischen Mechanismen der Impfzurückhaltung wirken. Viele Menschen hegen Ängste oder Vorbehalte, die durch gezielte Aufklärung und individuell abgestimmte Beratung gemindert werden können. Psychologische Modelle wie das sogenannte 5C-Modell (Vertrauen, kollektive Verantwortung, Sorglosigkeit, Komfort und Kalkulation) bieten wichtige Erkenntnisse, um Impfverweigerung zu reduzieren. Ein Beispiel hierfür sind „Empathische Interviews“, bei denen Ärztinnen und Ärzte gezielt auf die Beweggründe und Sorgen von Impfskeptikern eingehen, um die Motivation zu stärken und eine informierte Entscheidung zu fördern.

Prof. Dr. Cornelia Betsch: eine Forscherin mit braunen, schulterlangen Haaren, Brille und einem grauen Blazer über einem hellen Oberteil. Sie sitzt im Freien, im Hintergrund sind Blätter zu sehen.
Prof. Dr. Cornelia Betsch   ©Marco Borggreve

„Impfpflichten können zwar die Impfquote erhöhen, sie sind aber eine sehr weitreichende Maßnahme und stoßen oft auf Ablehnung. Dies kann zu weniger Akzeptanz und potenziell negativen Reaktionen führen“, sagt Cornelia Betsch, Leiterin der Forschungsgruppe Gesundheitskommunikation an BNITM und Universität Erfurt. „Es gibt gute Alternativen, die die Impfbereitschaft fördern können, indem sie die psychologischen Gründe für Impfzurückhaltung aufgreifen und die persönliche Entscheidung respektieren."

Finanzielle Anreize stellen eine weitere mögliche Ergänzung zu Impfpflichten dar. Diese Anreize, wie direkte Zahlungen oder Lotterien, verbessern die individuelle Kosten-Nutzen-Abwägung und haben sich in Studien als wirksames Mittel erwiesen, um Impfquoten zu steigern. Solche Anreize sollten jedoch sensibel eingesetzt werden, um ethische Bedenken zu berücksichtigen: so könnten sich Personen mit geringerem Einkommen möglicherweise durch finanzielle Vorteile unter Druck gesetzt fühlen.

Für die ärztliche Praxis und politische Entscheidungsträgerinnen und -träger ergeben sich aus der Studie klare Empfehlungen. So sollten Ärztinnen und Ärzte möglichst empathisch auf Impfzweifel eingehen und auf die verschiedenen sozialen, kognitiven und emotionalen Aspekte reagieren, die zur Impfskepsis beitragen. Entscheidungsträgerinnen und -träger sollten erwägen, weniger restriktive Alternativen in ihre Maßnahmenkataloge zu integrieren, die wissenschaftlich fundierte Ansätze zur Förderung der Impfbereitschaft enthalten. Philipp Schmid, Professor an der Radboud Universiteit in den Niederlanden und ebenfalls Mitglied von Betschs Arbeitsgruppe am BNITM resümiert als Erstautor der Studie: „Der vorgestellte Werkzeugkasten bietet zahlreiche Interventionsmöglichkeiten, die flexibel an die Bedürfnisse der Bevölkerung angepasst werden können – eine wesentliche Voraussetzung, um nachhaltig hohe Impfquoten zu erzielen und langfristig das Vertrauen in Gesundheitsmaßnahmen zu stärken.“ 

Originalpublikation

C. Betsch, P. Sprengholz et al.: Vaccination mandates and their alternatives and complements. Nature Review Psychology (2024).

doi.org/10.1038/s44159-024-00381-2

Ansprechperson

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Presse- & Öffentlichkeitsarbeit

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