Mitteilung

Weltweite Gefahr durch Antibiotikaresistenzen

Studie: Zahl der jährlichen Todesfälle seit 1990 teils nahezu verdoppelt

Antimikrobielle Resistenzen (AMR) stellen eine der größten globalen Gesundheitsbedrohungen unserer Zeit dar. Ein internationales Forschungsnetzwerk, darunter Forschende des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin (BNITM), hat in einer umfassenden Studie erstmals den weltweiten Verlauf von bakteriellen Resistenzen zwischen 1990 und 2021 untersucht und Prognosen bis 2050 erstellt – mit alarmierendem Ergebnis: Ohne entschiedene Gegenmaßnahmen könnten sich auch bis 2050 die von resistenten Bakterien verursachten jährlichen Todesfälle fast verdoppeln. Die Studie des internationalen Forschungskonsortiums Global Burden of Disease (GBD) ist in dem Fachjournal Lancet erschienen.

Die bunte Weltkarte zeigt die auf AMR zurückzuführenden Todesraten pro 100.000, alle Altersgruppen, im Jahr 2021.
©2024 The Author(s). Published by Elsevier Ltd.

Antimikrobielle Resistenzen (AMR) entstehen, wenn Bakterien gegen Antibiotika unempfindlich werden. Dies erschwert erheblich die Behandlung von bakteriellen Infektionen wie Lungenentzündungen, Blutvergiftungen, Harnwegs- oder Hautinfektionen. Zu den am stärksten betroffenen Bakterien gehören unter anderem Escherichia coli, das oft Harnwegsinfektionen verursacht, Staphylococcus aureus, das schwer heilbare Haut- und Lungenentzündungen hervorrufen kann, sowie Klebsiella pneumoniae, das besonders bei immungeschwächten Personen gefährliche Atemwegsinfektionen auslöst. Werden solche Bakterien gegen Antibiotika resistent, lassen sich Infektionen nicht mehr wirksam behandeln. Die Folge sind schwerere Krankheitsverläufe, höhere Sterberaten und steigende Kosten für das Gesundheitssystem.

Die "Global Burden of Disease (GBD) Antimicrobial Resistance Collaborators" untersuchen, wie sich antimikrobielle Resistenzen im Zeitverlauf entwickeln. Ihre jüngste Metaanalyse "Global burden of bacterial antimicrobial resistance 1990–2021: a systematic analysis with forecasts to 2050" ist die erste weltweite Erhebung von Todesfällen, die direkt oder indirekt auf antimikrobielle Resistenzen zurückzuführen sind. In einer früheren Studie hatte die GBD die globale und regionale Belastung durch AMR für das Jahr 2019 quantifiziert, gefolgt von weiteren Veröffentlichungen, die detailliertere Schätzungen für mehrere WHO-Regionen nach Ländern lieferten. Bislang gab es keine Studien, die umfassende Schätzungen der AMR-Belastung an verschiedenen Standorten vornehmen und dabei historische Trends und künftige Prognosen berücksichtigen.

Das Forschungsteam wertete Daten aus 204 Ländern und Regionen zu 22 bakteriellen Krankheitserregern, 84 Pathogen-Wirkstoff-Kombinationen und 11 infektiösen Krankheitsbildern aus. Grundlage der Analyse waren über 520 Millionen Datensätze, darunter mikrobiologische Untersuchungen, Krankenhausentlassungsdaten, Sterberegister, pharmazeutische Verkaufszahlen sowie Erhebungen zur Antibiotikanutzung. Auch das vom BNITM mitbetriebene Kumasi Centre for Collaborative Research in Tropical Medicine (KCCR) in Ghana trug wichtige wissenschaftliche Daten bei.

Das bunte Balkendiagramm zeigt den globalen Trend bei Sepsis nach Alter, 1990-2021.
Globaler Trend bei Sepsis nach Alter, 1990-2021   ©2024 The Author(s). Published by Elsevier Ltd.

 

Mit Hilfe statistischer Modellierungen erstellten die Forschenden dann globale und regionale Schätzungen zur Belastung durch AMR zwischen 1990 und 2021. Um die Auswirkungen von AMR besser zu verstehen, simulierten sie zwei Szenarien. Im ersten Szenario berechneten sie, wie viele jährliche Todes- und Krankheitsfälle es gegeben hätte, wenn alle Infektionen mit resistenten Bakterien noch auf Antibiotika angesprochen hätten. Im zweiten Szenario gingen sie davon aus, dass es gar keine Infektionen gab. Diese Ansätze halfen dabei, die tatsächliche Belastung durch resistente Bakterien zu berechnen. Zusätzlich erstellte das Team Prognosen bis 2050. Sie modellierten, wie sich die AMR-bedingten Todesfälle entwickeln könnten – zum Beispiel, wenn die Gesundheitsversorgung weltweit verbessert wird oder neue Antibiotika entwickelt werden.

Große Unterschiede nach Alter und Region

Die Ergebnisse sind alarmierend: Die Forschenden schätzen, dass im Jahr 2021 weltweit zwischen 4 und 7,1 Millionen Todesfälle mit bakterieller AMR verbunden waren, 1,14 Millionen davon seien direkt darauf zurückzuführen. Dabei gibt es große Unterschiede, abhängig von Alter und Region: Während die Todesfälle bei Kindern unter fünf Jahren seit 1990 um über 50 Prozent zurückgegangen sind, haben sie bei Menschen ab 70 Jahren um mehr als 80 Prozent zugenommen. Diese gegenläufigen Trends spiegeln den medizinischen Fortschritt bei der Behandlung von Kindern wider, unterstreichen aber gleichzeitig die wachsende Bedrohung für ältere Menschen, deren Immunsystem durch Alter und Vorerkrankungen anfälliger ist.

Bezogen auf einzelne Bakterienstämme zeigte das Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA) den stärksten Anstieg: Die assoziierten Todesfälle stiegen von 261.000 im Jahr 1990 auf 550.000 im Jahr 2021, die direkt darauf zurückzuführenden Todesfälle von 57.200 auf 130.000. Bei den gramnegativen Bakterien nahm insbesondere die Resistenz gegen Notfall-Antibiotika aus der Gruppe der Carbapeneme zu, mit einem Anstieg der assoziierten Todesfälle von 619.000 auf über eine Million im Jahr 2021. 

Balkendiagramm mit vier Doppelgrafiken: Auf AMR zurückzuführende Todesfälle nach Altersgruppe und Ort im Referenzszenario, 2022-2050. Die Einheiten sind in Millionen.
Auf AMR zurückzuführende Todesfälle nach Altersgruppe und Ort im Referenzszenario, 2022-2050. Die Einheiten sind in Millionen.   ©2024 The Author(s). Published by Elsevier Ltd.

 

Prognosen für das Jahr 2050 deuten darauf hin, dass weltweit dann fast bis zu 2 Millionen jährliche Todesfälle direkt auf AMR zurückzuführen sein könnten, bis zu 8,22 Millionen indirekt. Besonders betroffen werden voraussichtlich Südostasien und Lateinamerika sein. 

Trotz der alarmierenden Zahlen gibt es auch positive Signale: Die Studie zeigt, dass durch eine verbesserte Gesundheitsversorgung und den gezielteren Einsatz von Antibiotika zwischen 2025 und 2050 bis zu 92 Millionen Todesfälle vermieden werden könnten. Die Entwicklung neuer Antibiotika, insbesondere zur Bekämpfung Gramnegativer Erreger, könnte zusätzlich 11 Millionen Menschenleben retten.

Porträtfoto von Prof. Dr. Jürgen May, eines erfahrenen freundlich blickenden Forschers
Prof. Dr. Jürgen May   ©BNITM | Dino Schachten

„Diese Studie ist ein Weckruf für die internationale Gemeinschaft. Die Entwicklung neuer Medikamente und der zielgerichtete Einsatz von Antibiotika sind essenziell, um die drohende AMR-Krise zu bewältigen“, sagt Prof. Jürgen May, BNITM-Vorstandsvorsitzender und Leiter der Abteilung Infektionsepidemiologie, die an der Studie maßgeblich beteiligt war. 

„Wir müssen weniger Antibiotika einsetzen, sowohl in der Medizin als auch in der Tierzucht, und wenn, dann abgestimmt auf den jeweiligen Erreger und die jeweilige Infektion. Außerdem müssen wir die Surveillance-Systeme stärken, die Entwicklung neuer Wirkstoffe vorantreiben und den Zugang zu Impfungen und sauberem Wasser verbessern“, ergänzt Mitautorin Dr. Denise Dekker, Leiterin der Arbeitsgruppe One Health Bakteriologie am BNITM. „Unser Ziel muss sein, Infektionen zu verhindern, bevor sie entstehen“, so die Forscherin.

Dr. Denise Dekker: eine Forscherin mit langen braunen Haaren, die eine schwarz-weiß gemusterte Bluse trägt. Sie steht vor einem dunklen Hintergrund.
Dr. Denise Dekker   ©BNITM | Dino Schachten

Die umfassende Analyse der globalen AMR-Belastung bietet Entscheidungsträger:innen wertvolle Einsichten, um gezielte Maßnahmen gegen die Ausbreitung resistenter Bakterien zu entwickeln. Insbesondere in Ländern mit begrenztem Zugang zu einer angemessenen Gesundheitsversorgung sind dringend Investitionen in die öffentliche Gesundheit und in die Entwicklung neuer Behandlungsansätze nötig, um Millionen von Menschenleben zu retten.

Originalpublikation

Global burden of bacterial antimicrobial resistance 1990–2021: a systematic analysis with forecasts to 2050. The Lancet, Volume 404, Issue 10459, 28 September–4 October 2024, Pages 1199-1226.

DOI: 10.1016/S0140-6736(24)01867-1


Hintergrund

Das Global Burden Disease Consortium (GBD) ist ein internationales Netzwerk von Forscherinnen und Forschern. Es hat sich zum Ziel gesetzt hat, die weltweite Belastung durch Krankheiten zu (er)messen. Dazu erhebt und analysiert es Daten aus über 200 Ländern und Territorien und erstellt daraus umfassende Schätzungen zur Häufigkeit und Schwere von Krankheiten, Verletzungen und Risikofaktoren weltweit. Mehr als 9.000 Wissenschaftler:innen aus 162 Ländern arbeiten zusammen, um ein detailliertes Bild der globalen Gesundheitssituation zu zeichnen. Die Ergebnisse bieten Entscheidungsträgern und Gesundheitsbehörden wertvolle Einblicke, um gezielte Präventionsstrategien und Maßnahmen zu entwickeln und die Gesundheit der Weltbevölkerung zu verbessern.

Ansprechperson

Prof. Dr. Jürgen May

Head of Dept Infectious Diseases Epidemiology

Telefon : +49 40 285380-402

E-Mail : may@bnitm.de

Julia Rauner

Presse- & Öffentlichkeitsarbeit

Telefon : +49 40 285380-264

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