Wandlungsfähig bis in die kleinsten Zellstrukturen
Internationalem Forschungsteam gelingt Einblick in die molekulare Trickkiste des Malaria-Erregers Plasmodium falciparum
Malaria-Parasiten haben viele Gesichter: Im Laufe ihres Lebenszyklus entwickeln sie mehrere unterschiedliche Zellformen. Doch wie sich diese Metamorphose im Detail vollzieht, ist weitgehend ungeklärt. Molekularbiolog:innen von zehn europäischen Forschungsinstituten haben durch hochauflösende Bildgebungsverfahren jetzt das Zellskelett mehrerer Parasitenformen sichtbar gemacht. Die überraschenden Ergebnisse sind im Fachjournal Nature Communications erschienen.
Der Malaria-Parasit ist ein wahrer Wandlungskünstler: Im Laufe seiner Evolution hat er die Fähigkeit entwickelt, seine beiden völlig unterschiedlichen Wirte – Mensch und Anopheles-Mücke – optimal für seine Vermehrung und Verbreitung zu nutzen. Je nach Gewebe, das der Parasit in seinem Lebenszyklus Schritt für Schritt durchläuft, hat er hochspezialisierte und morphologisch unterschiedliche Zellformen hervorgebracht, die auf die jeweiligen Wirtszellen bestmöglich abgestimmt sind. Doch wie genau diese Zellformen aufgebaut sind, ist noch weitgehend unbekannt.
Ein internationales Forschungsteam um Prof. Dr. Tim Gilberger, Leiter der Abteilung Zelluläre Parasitologie am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, und Prof. Dr. Kay Grünewald, Leiter der Abteilung Strukturelle Zellbiologie von Viren vom Leibniz-Institut für Virologie (LIV), hat jetzt das molekulare Skelett von vier Zellformen des Malaria-Parasiten Plasmodium falciparum analysiert.
Dabei ging es den Forschenden, deren Labore sich im CSSB (Centre for Structural Systems Biology) auf dem DESY-Campus in Bahrenfeld befinden, hauptsächlich um den Aufbau der sogenannten Mikrotubuli: länglichen Strukturelementen aus Proteinen, sogenannten Protofilamenten. Mikrotubuli sind bei fast allen Lebewesen mit Zellkernen, also auch bei Menschen, aus 13 Protofilamenten aufgebaut. Diese Anzahl nahm man bisher auch für die Zellformen einzelliger Parasiten wie dem Malaria-Erreger an. Einzelne Abweichungen hielt man für Ausreißer-Phänomene.
Das Forschungsteam wollte sich nun die Mikrotubuli-Architektur des Malaria-Erregers genauer anschauen und führte mit Hilfe der Elektronenkryotomographie vergleichende Studien in vier verschiedenen Parasiten-Stadien durch. Möglicherweise lag hier ein Schlüssel für die Verwandlungskunst des Parasiten.
Die gewonnenen Daten offenbarten unter anderem eine spektakuläre Vielfalt in der Mikrotubuli-Architektur, und zwar nicht nur von Zellform zu Zellform, sondern auch innerhalb derselben Zellform, nämlich bei den Gametozyten. Das sind die geschlechtlich differenzierten Malaria-Zellen, die der Moskito beim Mückenstich aus dem menschlichen Blut aufnimmt. Diese bananen-förmigen Gametozyten verwenden Mikrotubuli, die aus 13 bis 18 Protofilamenten aufgebaut sind und die auch Doublets, Triplets und Quadruplets bilden. Eine derart große strukturelle Vielfalt sei bisher beispiellos, heißt es in der Studie. Sie werfe die Frage auf, welcher Mechanismus dem zugrunde liegt und welche physiologische Bedeutung dies hat.
Bei Merozoiten, dem Zelltyp, der unsere roten Blutzellen befällt, beobachtete das Team dagegen die kanonische Mikrotubuli-Form mit 13 Protofilamenten und konnte aufgrund der hohen Auflösung des verwendeten Bildgebungsverfahren andere funktionelle Strukturen im Detail darstellen.
Sporozoiten sind die Malaria-Zellformen im Speichel des Moskitos, die dieser dem Menschen beim Stich injiziert und die dann zunächst in dessen Leber wandern. Ookineten gehen aus der sexuellen Fortpflanzung des Malaria-Parasiten im Moskito-Darm hervor: wenn aus den Gametozyten Gameten geworden sind, die miteinander verschmelzen.
Auch die beiden in Moskitos vorkommenden Parasiten-Zellformen Sporozoiten und Ookineten haben die bisher angenommene Mikrotubuli-Struktur mit 13 Protofilamenten. Allerdings weisen sie im Gegensatz zu den Merozoiten wieder eine Besonderheit auf: eine Füllung des Hohlraumes innerhalb der Mikrotubuli, die als “Interrupted Luminal Helices“ (ILH) bekannt ist. Das Forschungsteam vermutet, dass die besonders ausgestalteten ILH des Parasiten für Stabilität sorgen, ohne die Flexibilität zu beeinträchtigen. Ein Austarieren von Flexibilität und Stabilität ist in allen Malaria-Stadien für den Parasiten überlebenswichtig, und mal ist das eine, mal das andere stärker gefragt: Flexibilität für die Dynamik der Zelle oder Stabilität, um die Zelle in Form zu halten.
„Diese Vielfalt an Mikrotubuli-Strukturen wurde bisher bei keinem anderen Organismus in der Art beobachtet und wird helfen, die Verwandlungskunst des Parasiten mechanistisch zu verstehen“, sagt Prof. Dr. Tim Gilberger.
Das Forschungsteam geht davon aus, dass die tatsächliche Vielfalt der Mikrotubuli-Strukturen von Lebewesen mit Zellkern größer ist als derzeit angenommen. Mit den jetzt verfügbaren Techniken sei es möglich, die dynamische Architektur vieler weiterer Zelltypen im Detail darzustellen und zu verstehen.
Originalpublikation
Tim-W. Gilberger & Kai Grünewald et al.: Variable microtubule architecture in the malaria parasite. Nature Communications 14, Article number: 1216 (2023).
Ansprechperson
Prof. Dr. Tim-Wolf Gilberger
Abteilung Zelluläre Parasitologie
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Presse- & Öffentlichkeitsarbeit
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