Mitteilung

Neue Erkenntnisse zu geschlechtsspezifischen Unterschieden bei Infektionskrankheiten

Warum leiden Männer viermal häufiger unter dem Amöbenleberabszess als Frauen, obwohl sich Frauen sogar öfter infizieren? Jetzt hat die Forschergruppe um Prof. Hanna Lotter des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin (BNITM) die Rolle eines Proteins entschlüsselt, das bei dieser Infektionskrankheit zu einer unterschiedlichen Immunantwort bei männlichen und weiblichen Individuen führt. Die Entdeckung ist ein weiterer Baustein für die Erforschung geschlechtsspezifischer Unterschiede bei Infektionskrankheiten. Die Ergebnisse sind im Journal of Hepatology erschienen.

Geschlechtsspezifische Immunantworten gibt es bei vielen Krankheiten. Es ist allgemein bekannt, dass Frauen häufiger an Autoimmunkrankheiten wie Multipler Sklerose oder Rheumatoider Arthritis leiden, während Männer häufiger von Krebserkrankungen und verschiedenen Infektionskrankheiten betroffen sind. Auch auf Impfungen reagieren Frauen in der Regel mit einer höheren Antikörperreaktion als Männer. Diese Unterschiede können zum einen auf die unterschiedliche Chromosomenstruktur (XX bei Frauen, XY bei Männern) zurückzuführen sein, Immunantworten können aber auch durch Geschlechtshormone beeinflusst werden. Geschlechtsspezifische Unterschiede in Immunantworten, die zu unterschiedlichen Krankheitsverläufen bei Männern und Frauen führen, sind aufgrund ihrer Komplexität bisher noch nicht vollständig verstanden. Dies bei Prävention und Therapie von Erkrankungen zu berücksichtigen, ist Aufgabe einer zukünftigen personalisierten Medizin.

Die Arbeitsgruppe Prof. Hannelore Lotter ist auf die Erforschung der Infektionsimmunologie auf molekularer Ebene spezialisiert. Der Amöbenleberabszess dient ihnen als Modellerkrankung, um Schaltstellen in Immunantworten zu finden, die für geschlechtsspezifische Unterschiede bei der hepatischen Amöbiasis, aber auch bei anderen Infektionskrankheiten, wichtig sein könnten.

Um derartige immunregulatorische Prozesse bei der Entstehung des Amöbenleberabszesses zu untersuchen, etablierte die Arbeitsgruppe ein Mausmodell, das die Geschlechterverteilung und die Pathologie des menschlichen Amöbenleberabszesses widerspiegelt. In früheren Studien wies sie mit Hilfe dieses Modells unter anderem nach, dass das männliche Geschlechtshormon Testosteron einen verstärkenden Einfluss auf bestimmte Zellen des Immunsystems ausübt und damit die Entstehung des Leberschadens begünstigt. Nun konnte sie zeigen, dass das Protein HIF-1α, das unter anderem auch in Leberzellen vorhanden ist, für die stärkere Immunreaktion der männlichen Mäuse mitverantwortlich ist. Das Protein ist in den Leberzellen beider Geschlechter vorhanden, beeinflusst die Immunzellantwort männlicher und weiblicher Tiere jedoch in unterschiedlichem Maße. Die Ausschaltung von HIF-1α in der Leber reduzierte eine pathologische sogenannte Th17-Immunantwort, die insbesondere bei männlichen Individuen an der Gewebeschädigung beteiligt ist, und führte zur Aufhebung des Geschlechtsunterschieds bei der Erkrankung. Das HIF-1α Protein könnte somit auch ein potenzieller Ansatzpunkt für die Entwicklung neuer Therapien bei Lebererkrankungen sein, denen eine ähnliche Immunpathologie zugrunde liegt.

Originalpublikation

Hannelore Lotter et al., HIF-1α modulates sex-specific Th17/Treg responses during hepatic amoebiasis, Journal of Hepatology, Volume 76, Issue 1, P160-173.

DOI:https://doi.org/10.1016/j.jhep.2021.09.020


Hintergrundinformationen

Auslöser des Amöbenleberabszess ist eine Infektion mit dem einzelligen Parasiten Entamoeba histolytica, die überwiegend in tropischen und subtropischen Gebieten der Erde vorkommt. Infektiöse Zysten des Parasiten werden oral durch verunreinigtes Trinkwasser oder verunreinigte Lebensmittel aufgenommen und führen primär zu Infektionen des Darms. Schätzungsweise 90 Prozent der Fälle verlaufen asymptomatisch, doch ein Eindringen des Parasiten in die Darmwand kann blutige Durchfälle, Fieber und eitrige Kolitis zur Folge haben. In seltenen Fällen gelangt der Parasit in die Blutbahn und führt zu Infektionen der Leber, der Lunge oder des Gehirns. Die häufigste Form einer extraintestinalen Infektion ist der Amöbenleberabszess, von dem Männer häufiger betroffen sind als Frauen. Die Erkrankung ist deshalb ein wertvolles Modell, um geschlechtsspezifische Unterschiede bei Infektionskrankheiten zu erforschen.

Ansprechperson

Prof. Dr. Hanna Lotter

Research Group Leader

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